Diese ist die letzte Sinfonie von Mieczysław Weinberg (1919-96), einem polnischen Komponisten jüdischer Abstammung, der in Warschau geboren wurde, ab 1939 in der Sowjetunion lebte und in Moskau starb.

Das Kaddisch (aus dem Aramäischen qaddiš – ‚heilig‘, in Jiddisch – kadesz) ist eines der wichtigsten und am häufigsten aufgerufenen Gebete des Judentums. Es ist in aramäisch geschrieben und drückt den Glauben an den einen Gott und die Unterwerfung Seinem Willen aus. Im 13. Jahrhundert wurde es zur Tradition, das Kaddisch bei Beerdigungen zu sprechen – nachdem vermehrt Pogrome auf Juden von Kreuzrittern stattgefunden hatten. Ab dem 15. Jahrhundert wurde es dann zur Pflicht, das Kaddisch für verstorbene Verwandte ein Jahr lang nach deren Tod aufzusagen. Die aktuelle Form des Gebetes bildete sich im 18. Jahrhundert heraus – damals wurde auch entschieden, dass keine weiteren Verse hinzugefügt werden dürfen und dass das Wort „Amen“ als Antwort nur von der ganzen Gemeinde gesagt werden solle. Während einiger jüdischer Feiertage (Rosch ha-Schana oder Jom Kippur) wird das Kaddisch zu bestimmten Melodien gesungen.

Das Kaddisch wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrmals in der Musik verwendet. Maurice Ravel brachte es in seine Deux mélodies hébraïques (1914) ein, ebenso verfuhr Ernest Bloch in Avodath Hakodesh (1930–33) für Bariton, Chor und Orchester. Leonard Bernstein wiederum schrieb die Sinfonie Nr. 3 „Kaddish“ (1963) für Sopran, Erzähler, gemischten Chor, Knabenchor und großes Orchester. Er widmete die Sinfonie Präsident John F. Kennedy, der eine Woche vor der Welturaufführung ermordet wurde. Fünfzig Jahre später wurde der ursprünglich mit Kennedy assoziierte Erzähltext (von Bernstein selbst verfasst) durch die Memoiren von Samuel Pisaro ersetzt, der den Holocaust überlebte. Krzysztof Penderecki schrieb „Kaddish“ (2009) für Sopran, Tenor, Rezitativ, Männerchor und Orchester mit der Widmung: „Für alle Łódź Abrameks, die sich nach dem Leben sehnten. Für Polen, die Juden retteten“. Der Text des aramäischen Gebetes kommt in dem vierten und zugleich letzten Satz vor und basiert auf alten Gebeten aus Ostgalizien, die der Komponist bei seinem Freund, dem Bass Boris Carmeli, gehört hatte. Der erste Satz beinhaltet Gedichte von Abramek Cytryn, einem 14-jährigen Jungen, der mit dem letzten Transport aus dem Ghetto von Łódź nach Auschwitz deportiert wurde. Der Vollständigkeit halber muss hinzugefügt werden, dass das erste musikalische Werk, dass den Gebetstext nutzt, das 1623 entstandene „Kaddish Shalem“ von Salomone Rossi war.

Weinberg komponierte die Sinfonie Nr. 21 im Jahr 1991 für Sopran und Sinfonieorchester. Sie dauert mehr als 50 Minuten. Obwohl die Sinfonie aus sechs Sätzen besteht, ist sie im Grunde ein großer, unentwegter Akt der Klage über eine Welt, die nicht mehr existiert. Nachdem die Sinfonie im April 2018 zum 75. Jahrestag des Warschauer Ghetto-Aufstandes in der Warschauer Philharmonie gespielt wurde, schrieb die Monatszeitung „Ruch Muzyczny“: „[Weinberg] vermeidet die klaren Lösungen Schostakowitschs – Marschrhythmen, die sofort ins Ohr gehen, eine parodische Aufarbeitung der Musik des 19. Jahrhunderts, unendlich elegische Kantilenen. [...] es ist eine beeindruckende Studie des Gedächtnisses: Die dichte, romantische Erzählung wird immer wieder durch verschwommene Idiome unterbrochen – ein Fragment des ersten Themas aus Chopins Ballade in G Moll (immerhin wurde seine Musik im Ghetto ständig gespielt), ein krummer Marsch eines Solo-Kontrabasses, Anspielungen auf Klezmer-Musik und schließlich – am erschütterndsten – ein Geigensolo, gegen einen unterbrochenen Walzer gespielt – welches eindeutig das Spiel des Vaters des Komponisten wiederholt – ein Geiger in einem kleinen jüdischen Theater, der im Ghetto mit seiner gesamten Familie umkam.“

Der Zuhörer wird mit Kummer und Schmerz konfrontiert, vermischt mit Wut, Widerstand und Horror. Der erste Satz (circa 18 Minuten) wird mit einem melancholischen Streicherklang eröffnet – als würde die Musik sich nach etwas sehnen und diese Sehnsucht ungestillt bleiben. Dies wird weder durch das Klagen der Blasinstrumente noch durch die direkte Bezugnahme auf Chopins Ballade in G Moll verändert, welche gegen Ende des Satzes erneut auftaucht. Allegro Molto ist ein Wirbel aus Rhythmen und Farben, eine Erinnerung an fröhliche Tage vor der Apokalypse; allerdings wird dieser Satz durch Kriegsstimmung unterbrochen. Das wankelmütige Largo beginnt mit einer gewaltigen, schweren Fanfare der Blechbläser (welche schnellen Streicherpassagen gegenübergestellt wird) – an zentraler Stelle platziert Weinberg eine Klezmerband mit einer Klarinette als Leitinstrument. Das drei-minütige Presto wirkt wie eine Flucht, die in absoluter Erschöpfung endet. Das Andantino bleibt dank dem sich konterkarierenden Violin- und Xylophon-Solo im Gedächtnis. Zuletzt ertönt das finale Lento: Anfangs ist das textlose Sopransolo von hinter der Bühne zu hören, sehr rein und himmlisch (welches noch einmal erscheinen wird), dann eine weitere Bezugnahme auf Chopins Ballade und schlussendlich braust das Orchester in seiner Einheit auf, gefolgt von Totenstille. Die Endgültigkeit entsetzt, ist aber unabwendbar.