Es ist ein herausragendes Stück. Schließlich würden wir nicht ohne weiteres sagen, dass wir dem Krieg etwas verdanken, und doch hätte diese Musik vermutlich nie das Licht der Welt erblickt, hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. „Zeitgenössische Musik“, schreibt Alex Ross, der Musikkritiker der New Yorker und Autor von „The Rest is Noise“, „ist manchmal so einzigartig schön, dass die Menschen in grenzenlose Begeisterung verfallen, wenn sie sie hören. Olivier Messiaens ‚Quartett für das Ende der Zeit‘ bringt mit seinen großartigen Melodieverläufen und zart erklingenden Akkorden bei jeder Aufführung die Zeit zum Stillstehen.“

Die Zeit blieb zum ersten Mal am 15. Januar 1941 im Lager in Görlitz stehen, in welchem der französische Komponist sei 1940 inhaftiert war. An diesem Ort komponierte er das „Quartett für das Ende der Zeit“ für Geige, Klarinette, Cello und Klavier. Er unterzeichnete es mit den Worten „Zu Ehren des Engels der Apokalypse, der seine Hände gen Himmel erhebt und sagt ‚Es wird keine Zeit mehr geben‘“. Eine polnische Soirée wurde an einem Winterabend in einer eiskalten Barracke mit einer provisorischen Bühne gehalten, bei der mehr als 400 Lagerinsassen das Quartett zum ersten Mal hörten. Diese Veranstaltung war dank sympathisierender deutscher Offiziere möglich, die Hitlers Ideologie nicht gerade wohlgesinnt waren und die geeignete Arbeitsbedingungen für den Komponisten schufen (einer der Wächter half sogar, Dokumente zu fälschen, welche die Entlassung Messiaens aus dem Lager ermöglichten). Nach dieser ersten Aufführung des Quartetts merkte Messiaen an: „Noch nie wurde mir mit so viel Aufmerksamkeit und Verständnis zugehört.”

Messiaen war einer der berühmtesten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Obwohl er als der Vater des mathematischen Gedankens in der Musik angesehen wurde, waren seine Werke sinnlich und vergeistigt, reich an Expressionismus und Symbolismus. Zu seinen wichtigsten Partituren zählen: Vingt regards sur l'enfant-Jésus (1944) für Klavier, Catalogue d’oiseaux in seven volumes (1956–58), Turangalîla-Symphonie (1946–48) für Klavier, Ondes Martenot und Orchester, La Transfiguration de Notre Seigneur Jésus-Christ (1965–69) für Chor, Soloinstrumente und Sinfonieorchester und die Oper St. François d’Assise (1975–83). Der Komponist war von nicht-europäischen Kulturen fasziniert und ließ sich unter anderem von indonesischen Motiven und japanischer Musik inspirieren (Sept haïkaï (1962) für Klavier und Orchester). Er verfasste die Abhandlung „Die Technik meiner musikalischen Sprache“ (1944), in welcher er sein harmonisches Konzept beschrieb. Messiaen untersuchte den Gesang von Vögeln aus verschiedenen geographischen Regionen und schrieb seine Beobachtungen während seiner Spaziergänge in einem Notizbuch auf.

Das „Quartett für das Ende der Zeit“ besteht aus acht Sätzen: Kristallene Liturgie, Vokalise für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet, Abgrund der Vögel, Zwischenspiel, Lobpreis der Ewigkeit Jesu, Tanz des Zorns für die sieben Trompeten, Wirbel der Regenbögen für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet und Lobpreis der Unsterblichkeit Jesu. Das ganze Werk dauert etwa fünfzig Minuten. Es wird behauptet, dass der Komponist von einem Sonnenuntergang inspiriert worden sei, während welchem er einen Engel mit einem Regenbogen über dessen Kopf gesehen habe. Messiaen bemerkte außerdem eine eigenartige Verfassung namens Synästhesie, die durch Hunger und Erschöpfung verursacht wurde. Diese ermöglicht es, Klänge mit Farben zu assoziieren. Für den Komponisten bezieht sich das „Ende der Zeit“ nicht einfach auf das Ende der Gefangenschaft, sondern vielmehr auf das Ende von Vorstellungen über „Vergangenheit“ und „Zukunft“ und den Beginn der Ewigkeit. Der zuvor genannte Alex Ross erwähnt wiederum besonders die technische Bedeutung des Titels – die Ablehung eines starren Metrums (Irregularität war ein permanentes Charakteristikum der Musik des Franzosen): „Messiaen reagierte auf die mechanisierte Irrsinnigkeit des Zweiten Weltkriegs, indem er die reinsten, schlichtesten Klänge anbot, die er finden konnte.“

Möglicherweise ist das Quartett lediglich eine Ansammlung von Momenten, die in gewisser Hinsicht voneinander unabhängig sind. Darauf weisen die Titel der einzelnen Sätze hin – nah und doch gleichzeitig weit entfernt voneinander. Die Sätze unterscheiden sich voneinander in der Stimmung und der Anordnung der Instrumente: ein Satz wurde für Soloklarinette geschrieben, zwei andere für Duette (Cello und Klavier, Geige und Klavier). Die monotonen rhythmischen Muster rufen oft Assoziationen zu gregorianischem Gesang hervor.

Völlig untypisch ist der dritte Satz (Abgrund der Vögel), welcher aus einem mehrere Minuten dauernden Klarinettensolo besteht. Es ist merklich, welchen Einfluss das Studium des Vogelgesangs auf den Komponisten hatte: Der Zuhörer kann geradezu die Lockrufe der Amsel und der Nachtigall hören, deren reine Vokalise wie ein Kampf gegen die Zeit klingen. Im wunderbaren fünften Satz, Lobpreis der Ewigkeit Jesu, sind das Cello und das Klavier die führenden Instrumente. Dieses Liebesduett muss mit einer an mystische Verzückung grenzenden Leidenschaft gespielt werden – und so sollte es auch gehört werden. Immerhin versinnbildlicht der langsame Part des Cellos Jesus als Wort, welches jenseits aller Zeit steht. Im sechsten Satz, Tanz des Zorns für die sieben Trompeten – was Rhythmus betrifft, der am meisten ausgeprägte Teil – imitieren die vier Instrumente im Unisono die Klänge von Gongschlägen und apokalyptischen Trompeten. Im Finale, Lobpreis der Unsterblichkeit Jesu, beantworten die fließenden Linien der Geige das Cellosolo aus dem fünften Satz, einem aus Klavierakkoden herbeigezauberten jenseitigen Hintergrund entgegengesetzt. Hier findet sich ein klarer Bezug zur Menschwerdung Gottes aus dem Wort (Johannes 1:14-18).
Und so wird die Musik zu einem Zeugnis über den absoluten und irrationalen Glauben allen Widrigkeiten zum Trotz.